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Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit auffälligem Verhalten

Situation

Seit Einführung der integrativen Schule melden sich vermehrt Lehrpersonen bei der FSS, welche eindrücklich von enorm belastenden Situationen im Unterricht schildern. Diese Störungen des Unterrichts werden vorwiegend von einzelnen oder mehreren Schülerinnen und Schülern mit Verhaltensauffälligkeiten verursacht.

Auch wenn solche Schilderungen von Lehrpersonen bedauerlicherweise bei unserem Berufsverband immer wieder eintreffen, sammelt die FSS diese doch gerne als Beispiele, um sie im Kontakt mit den Entscheidungsträgern im Erziehungsdepartement – natürlich immer in anonymisierter Form – als Beleg für die tatsächlich vorhandene, hohe Beanspruchung der Lehrpersonen aufzuführen.

Besonders auffällig scheint der FSS, dass seit ein paar Jahren zunehmend Fälle auch von jüngeren Schülerinnen und Schülern mit heftigen, unkontrollierbaren Verhaltensauffälligkeiten in der Schule auftreten. Das Spektrum der geschilderten problematischen Verhaltensweisen reicht dabei von unkontrolliertem Herumschreien und länger andauernden Arbeitsverweigerungen über das Herumwerfen von Gegenständen und heftige, verbale Ausfälligkeiten sowie Bedrohungen bis hin zu körperlichen Tätlichkeiten und verletzenden Beissattacken. Durch solch regelmässiges «Austicken» der betreffenden Kinder und Jugendlichen wird die Durchführung des üblichen Regelunterrichts oftmals nicht nur erschwert, sondern geradezu sabotiert. Die FSS setzt sich darum gegenüber dem Erziehungsdepartement und der Politik für Verbesserungsmassnahmen ein, welche die Regelklassen und deren Lehrpersonen dringend entlasten sollen.

Instrumente / Vorgehen

Im Umgang mit stark verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern empfiehlt die FSS ihren Mitgliedern, die folgenden Instrumente und Vorgehensmöglichkeiten zu beachten und je nach Situation bewusst anzuwenden:


1. Gespräche im Klassenteam / pädagogischen Team: Absprachen im Team ermöglichen die Verteilung der Belastung auf mehrere Schultern und einen ersten Austausch über den möglichen Umgang mit den Unterrichtsstörungen.

2. Gespräche mit den Erziehungsberechtigten: Die «Eltern» sind von Anfang an zu orientieren, wenn ihr Kind im Unterricht verhaltensmässig stark auffällt. Auch über weitere Schritte und Abklärungen sind sie zu informieren. Oftmals liegen den Verhaltensauffälligkeiten sozio-emotionale Ursachen im privaten Umfeld zugrunde, gegen welche die Lehr- und Fachpersonen auch mit dem besten Unterrichtsgestaltung nichts ausrichten können.

3. Information der Schulleitung: Die Schulleitung ist unbedingt auch von Anfang an über verhaltensmässige Schwierigkeiten mit einzelnen Schülerinnen und Schülern in Kenntnis zu setzen. Sie kann insbesondere bei erschwerter Kooperation mit den Erziehungsberechtigten bedeutsam unterstützen.

4. Beizug der SSA: Die Schulsozialarbeit kann von der Lehrperson um Unterstützung angefragt werden und wird danach ein Erstgespräch mit den betreffenden Schülerinnen und Schülern durchführen. Die weitere Begleitung der Kinder resp. Jugendlichen sowie deren Familien erfolgt durch die SSA anschliessend jedoch nur auf freiwilliger Basis.

5. Beizug des SPD und / oder der FFI: Die Fachpersonen des Schulpsychologischen Dienstes und der Fachstelle Förderung und Integration stehen für Unterrichtsbesuche und beratende Gespräche unterstützend bereit. Während der SPD vertiefende Abklärungen mit den Schülerinnen und Schülern anbietet, steht die FFI u.a. für individuelle Beratungen der Lehrperson bezüglich der Unterrichtsgestaltung usw. zur Verfügung. Für die Beurteilung, ob die Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten primär im schulischen Unterricht oder im privaten Umfeld zu suchen sind, können beide Fachstellen wertvolle Hinweise liefern.

Die Unterrichtsverpflichtung der Lehrpersonen umfasst grundsätzlich vier Punkte (Verordnung 411.450, §2):

  • Erziehung
  • Unterricht
  • Betreuung
  • Förderung

Unter Erziehung ist dabei das «Classroom-Management» zu verstehen, welches die Grundlage für geregeltes Unterrichten im Sinne von guter Klassenführung bildet. Die Einzelerziehung bestimmter Schülerinnen und Schüler, welche primär aufgrund privat verursachter Verhaltensauffälligkeiten den Unterricht stören, gehört aus Sicht der FSS jedoch nicht zum Aufgabenbereich der Lehrperson. Denn dafür sind die Erziehungsberechtigten und allenfalls eine mit den entsprechenden Aufsichtspflichten ausgestattete Behörde verantwortlich (s. 7.).

6. Beizug der KIS (Kriseninterventionsstelle): Ein betroffenes Schulkind kann dort ein Timeout von ca. drei Monaten belegen (KIS extern) oder ein Schulkind, eine Gruppe oder die Klasse erhält Unterstützung durch eine:n Heilpädago:in von KIS vor Ort. Die Form der Unterstützung wird anlässlich eines Klärungsgespräches gemeinsam vereinbart.

7. Einreichung einer Meldung für mögliche Kindswohlgefährdung beim KJD (KESB-Vorstufe): Die gegenüber der FSS oftmals geschilderten verbalen Bedrohungen und ausgeführten Tätlichkeiten durch die betreffenden Schülerinnen und Schüler rechtfertigen nach Einschätzung der FSS eine solche Meldung in den meisten Fällen. Nach der Einreichung einer solchen behördlichen Meldung wird die Familiensituation sozialpädagogisch abgeklärt und die Familie erhält erzieherische Unterstützung durch eine Fachperson. Die KESB kann bei Bedarf auch «unterstützende Erziehungsmassnahmen» anordnen. Erfahrungen der FSS und der KESB zeigen, dass in den letzten Jahren solche Gefährdungsmeldungen von der Schule leider oft viel zu spät oder gar nicht vollzogen wurden. Ziel einer solchen Meldung ist es nie, die involvierten Eltern oder die Familie zu bestrafen, sondern das spezifische Kind auf seinem Weg zu einer allseits gut verträglichen Sozialisation endlich wieder vorwärts zu bringen.

8. Temporärer Schulausschluss: Laut den aktuell gültigen gesetzlichen Regelungen kann die Schulleitung Schülerinnen und Schüler in begründeten Fällen während maximal fünf Tagen von der Schule wegweisen (Verordnung 410.130, §30, Absatz 1, g). Die Klassenlehrperson selbst ist hingegen nicht ermächtigt, einen solchen Ausschluss alleine vorzunehmen.

9. Timeout-Angebote vor Ort: Die FSS fordert seit vielen Jahren, dass an allen Schulstandorten eine solche “temporäre Lerninsel” für Schülerinnen und Schüler mit massiven Verhaltensauffälligkeiten während der gesamten Unterrichtszeit zur Verfügung stehen muss. Der ehemalige Volksschulleiter, Dieter Baur, hatte 2019 alle Schulen beauftragt, bei der Erstellung des sogenannten «Schulprogramms» diese Timeout-Angebote zu installieren. Dieser Auftrag ist bisher allerdings noch nicht an allen Schulstandorten ausgeführt worden.

10. Antrag Verstärkte Massnahmen (VM): Schülerinnen und Schüler mit massiven Verhaltensauffälligkeiten können zweimal pro Jahr am sogenannten “Runden Tisch” für das standardisierte Abklärungsverfahren (SAV) angemeldet werden. Der Antrag  lautet auf die Bewilligung von «Verstärkten Massnahmen» (VM), was entweder eine qualifizierte Assistenzperson beim Verbleib in der Regelklasse oder einen Übertritt in die schulischen Spezial-Angebote zur Folge hätte. Anmeldungen für den Runden Tisch finden nach vorherigen Absprachen mit der SHP, dem SPD und der Schulleitung statt.

11. Meldepflicht und Strafanzeige: Hier gilt es zwischen Bedrohungen und Tätlichkeiten zu unterscheiden. Verbale Bedrohungen und angedrohte Tätlichkeiten sind meldepflichtig – gegenüber den Erziehungsberechtigten, der vorgesetzten Schulleitung (auch zuhanden der Stufenleitung Volksschulen) sowie den für die staatliche Fürsorgepflicht verantwortlichen Behörden (s. 7.: KJD resp. KESB). Bei tatsächlich verübten Tätlichkeiten (wie z.B. bei Bissen, aber auch bei anderen nachweisbaren Verletzungen z.B. infolge Tretens) kommt zu diesen drei Meldepflichten noch die Einreichung einer Anzeige bei der Kantonspolizei hinzu.
Die FSS empfiehlt ihren Mitgliedern unbedingt, darauf nicht z.B. aufgrund von «pädagogischen Überlegungen» zu verzichten. Denn es geht dabei gar nicht hauptsächlich um die Bestrafung der Täterinnen und Täter, sondern um die Klärung von möglichen Folgekosten. Leider gibt es immer wieder Fälle von Lehrpersonen, welche als Opfer von verübten Tätlichkeiten (und übrigens auch von heftigen Bedrohungen) erkranken und mangels Anzeige dann erst noch auf den daraus resultierenden Kosten (z.B. für Krankenkassen-Franchisen) privat sitzen bleiben. Im Falle einer Anzeige würden stattdessen die Erziehungsberechtigten des tätlich gewordenen Kindes oder Jugendlichen haftbar gemacht. Die Opferhilfe beider Basel berät beim Einreichen einer allfälligen Anzeige sehr kompetent und kostenfrei. Es besteht hinsichtlich «Opferschaft» also kein juristisch relevanter Unterschied, ob die Täterschaft nun erwachsen oder noch ein Kind resp. jugendlich war.

12. Kündigungsschutz bei Krankheit: Wenn eine Lehrperson aufgrund solch hoher disziplinarischer Belastungen im Unterricht bedauerlicherweise erkranken sollte, verfügt sie über dieselben personalrechtlichen Rechte und Pflichten wie bei allen anderen Krankheitsursachen. Im Falle einer ärztlichen Krankschreibung kann sie als beim Kanton unbefristet angestellte Person z.B. mindestens 365 Tage weiter Lohn beziehen, ohne dass sie deswegen eine Kündigung riskiert. Zudem hat sie erst noch Anspruch auf ein psychologisch-soziales Betreuungsangebot für den Wiedereinstiegsprozess durch das Care Management des Kantons.

Stand Februar 2021

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