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Lehr- und Fachpersonenmangel

Planungsversagen oder missliche Arbeitsbedingungen?

Die Zahl der zukünftigen Geburten lässt sich nicht voraussagen. Interessant ist, dass sie (fast) immer unterschätzt werden. Die Zahl der zu pensionierenden Lehrpersonen ist besser bekannt. Sie wird leider kaum berücksichtigt. Aktuell sind in Basel-Stadt praktisch alle Stellen für Lehrpersonen besetzt. Das wird aber nicht so bleiben und ist in anderen Kantonen bereits anders. Lehrpersonen werden gesucht. Wie kommt es, dass diese Entwicklung von den Verantwortlichen nicht gesehen wurde?

Wir sind Lehrerin und Lehrer geworden, weil wir Lernen für eine Notwendigkeit halten. Die unterschiedlichsten Kinder und Jugendlichen müssen durch den Dschungel des Lernens geführt werden: Vorbilder wirken und soziale Beziehungen sind essenziell. Die Lehrperson als Bezugsperson ist wichtigste Bedingung (Hattie) [1]. Wir Lehrerinnen und Lehrer haben genau dafür das Rüstzeug, die Fähigkeiten und die Freude am Beruf. Wir sind jedoch besorgt, weil die Schule als «gesellschaftliche Klammer» zu bröckeln droht: Immer grössere Klassen – bis an das Maximum und darüber hinaus aufgefüllt – trotz zusätzlicher Aufgaben aus der Umsetzung des Lehrplans 21, der Inklusion und aktuell «die Digitalisierung». 

Wir sind gut ausgebildet, haben Erfahrungen gesammelt und sind im Beruf geblieben. Wir sehen mit Sorge, dass auch das keine Selbstverständlichkeit mehr ist: Junglehrerinnen und Junglehrer verbleiben oft nicht im Beruf: Die Anforderungen sind gerade am Anfang sehr vielfältig und hoch, so dass bis 35 % den Beruf nach fünf Jahren aufgeben [2]. Da stellt sich die Frage: Bereitet die Ausbildung wirklich auf den Schulalltag vor?

Die Schule ist (noch) eine staatliche Institution, die nicht zuletzt die Aufgabe hat, Kinder und Jugendliche in die Gesellschaft zu integrieren. Dazu leisten wir täglich unseren Beitrag: In der Elternarbeit und bei der Hinführung der Jugendlichen zu einer Berufswahl, die ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht. Wir kooperieren im Quartier, mit anderen staatlichen Einrichtungen und mit unterschiedlichsten Unternehmen. Wir entwickeln uns mit den Anforderungen der Gesellschaft weiter: Mehr Vielfalt in den Elternhäusern, mehr Vielfalt bei den Berufsbildern – mehr Individualisierung auch hier. Die Anforderungen an uns sind stetig gestiegen und damit unsere Arbeitszeit: Lehrpersonen leisten, vor allem wenn sie in Teilzeit angestellt sind, je nach Schulstufe zwischen 8,9 und 16% Überstunden – seit Jahren und ohne Kompensationsmöglichkeit (LCH, 2009 und 2019) [3], die Burnout-Quote ist hoch.

Ist unser Beruf familienfreundlich? Aus dem oben gesagten ergibt sich, dass das nicht per se so gesehen werden kann.

Sind in unserem Beruf Frauen und Männer gleichberechtigt? Wir erhalten unseren Lohn aufgrund der Funktion. Interessanterweise ist der Lohn im Kindergarten am geringsten, im Gymnasium am höchsten: Im Kindergarten arbeiten ungefähr 95% Frauen, im Gymnasium sind mehr als 50% männliche Lehrpersonen – Vollzeitpensen über alle Schulstufen liegen i.d.R. unter 30% [4].

Wir sind gerne Lehrerinnen und Lehrer: Wir mögen Menschen. Damit das so bleibt, erwarten wir, dass der absehbare Lehrpersonenmangel nicht kurzsichtig auf unserem Rücken ausgetragen wird. Darum fordern wir:

  • Der Berufsverband wird mehr einbezogen in Bezug auf verbesserte Arbeitsbedingungen: Partizipation verstärken, damit die berufliche Belastung gesenkt wird
  • Generell kleinere Klassen
  • Einhaltung der Jahresarbeitszeit innerhalb des 85/15-Modells: Entlastung für Mehrarbeiten im 15%-Bereich
  • Überprüfung der Pflichtlektionen an den Berufsschulen im Verhältnis zum Gymnasium; keine Erweiterung der beruflichen Aufgaben ohne generelle Senkung der Pflichtlektionen
  • Gleicher Lebenslohn im Unterrichtsbereich für gleichwertige Arbeit
  • Standardisierte und lückenlose Begleitung für Berufseinsteiger:innen durch dafür entlastete Mentorats-Personen an allen Schulen
  • Verbesserung der aktuellen Ausbildung im Bereich Berufsvorbereitung

Dann wollen und können wir Lehrerinnen und Lehrer bleiben und der Lehrpersonenmangel wird mittelfristig behoben werden.

Geeignete Massnahmen zur Verhinderung des Lehrpersonenmangels

  • Berufseinstieg junger Lehrerinnen und Lehrer erleichtern
  • Mehr Praxisplätze an Basler Schulen
  • Attraktivere Bedingung für Praxis-LP schaffen
  • Mehr PH-Dozierende, die selber im Stadtkanton unterrichten
  • Zusatz- und Nachqualifikationsangebote für bestehende LP ausweiten
  • Mehr Informationsveranstaltungen und Werbeaktionen in der Öffentlichkeit und in den oberen Klassen der Volksschulen und der Mittelschulen
  • Schnupperlehren für Schülerinnen und Schüler (z.B. FMS und Gym)
  • Rückkehr in den Beruf erleichtern
  • mehr Springerinnen und Springer zur Verfügung haben 

Dieses Positionspapier wurde vom FSS-Vorstand am 16.12.2021 einstimmig verabschiedet.

[1] Hattie, J. (2008). Visible Learning. A synthesis of over 800 meta- analyses relating to achievement, Routlegde
[2] BFS Aktuell 15 Bildung und Wissenschaft (2014) Mobilität der Lehrkräfte der obligatorischen Schule
[3] Brägger, M., Schwendimann, B.A. Entwicklung der Arbeitszeitbelastung von Lehrpersonen in der Deutschschweiz in den letzten 10 Jahren. Präv Gesundheitsf (2021). https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs11553-021-00835-y, gelesen am 25.04.2021
[4] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bildung-wissenschaft/personal-bildungsinstitutionen.assetdetail.6446983.html, gelesen am 31.5.21